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Zur Bedeutung der Saiten für die Gitarre

Erkenntnisse aus einem Saitentest
und dem Gitarrenbauwettbewerb der EGTA-D

Als Initiator und Juryvorsitzender der Gitarrenbauwettbewerbe der deutschen EGTA wurde ich kürzlich von der Karl Höfner GmbH gebeten, einen Saitentest durchzuführen. Ziel sollte sein, für die Gitarren der Manufaktur die optimalen Saitenbezüge zu ermitteln.

Nach entsprechenden Vorarbeiten - Erstellen eines Bewertungsbogens und Planung des Testverlaufs - machte ich mich auf den Weg zum eintägigen "Testen". In der Manufaktur traf ich meine beiden "Mittester", einen Gitarrenbauer und einen Saitenhersteller, zum ersten Mal. Es einte uns also kein vorher abgeklärter "saitenphilosophischer" Wertekanon!

Die Manufaktur hatte für den Test folgendermaßen vorgesorgt: Aus einer preiswerten wie einer teuren Gitarrenserie waren jeweils sieben Instrumente ausgewählt worden, die in ihren akustischen Eigenschaften weitgehend identisch erschienen - dies sollte Voraussetzung dafür sein, dass alle beim Testen aufscheinenden klanglichen Unterschiede der Instrumente auf die Saiten zurückgeführt werden konnten.

Ein paar Tage vor dem Test hatte man auf jede der zweimal sieben Gitarren einen anderen von sieben verschiedenen Saitensätzen aufgezogen - Nylon- und "Carbon"-Saiten fünf unterschiedlicher Hersteller. Der Test erfolgte "blind": kein Tester wusste beim Ausprobieren, mit welchen Saiten welchen Herstellers er es zu tun hatte. Pro Satz Saiten bzw. pro Gitarre waren 15 bis 20 Minuten Zeit vorgesehen, um den dreiseitigen Bewertungsbogen auszufüllen.

Am Ende der ersten Testreihe (preiswerte Instrumente) wurden die Saiten der "besten" und der "schlechtesten" Gitarre miteinander vertauscht, um ein paar Stunden später (nachdem die Stimmung "hielt") ausprobieren zu können, ob der überdeutliche Qualitätsunterschied nicht doch von den Instrumenten herrührte. Doch siehe da, der ursprüngliche Eindruck verkehrte sich in sein Gegenteil: Die Gitarre, die vorher richtig "gut" gewesen war, war nun eindeutig "schlecht" - und entsprechend umgekehrt.

Es waren also tatsächlich die Saiten, die den Unterschied ausmachten,
nicht die Gitarren!

Erstaunlich bei beiden Testserien: Die Bewertungen der drei Tester erwiesen sich bei beiden Testserien à sieben Gitarren als nahezu deckungsgleich. Dies bedeutet für die veranstaltende Gitarrenmanufaktur natürlich eine hohe Sicherheit, was die künftige Saitenauswahl anlangt. Vor allem aber spricht es für die Signifikanz der Erkenntnisse, die aus dem Test zu gewinnen waren:

Eine Gitarre mit schlechtesten Saiten erzeugt den Eindruck einer schwachen und trägen Schülergitarre, auf der das Spielen recht reizlos ist. Mit besten Saiten bespannt entwickelt das gleiche Instrument dagegen in ungeahntem Ausmaß Kraft, Klarheit, Brillanz, Beweglichkeit und animiert zum Spielen und klanglichen "Ausreizen". D.h.: Saiten bewirken einen in diesem Ausmaß nicht für möglich gehaltenem Unterschied in der Qualitätsanmutung von Gitarren.

Dünne Basssaiten und "Carbon"-Diskantsaiten sind tendenziell die "besseren" Saiten, das hat der Test klar erwiesen. Im Prinzip gilt: Je dünner die Saiten sind, desto lebendiger, obertonreicher und kräftiger lassen sie die Gitarre erscheinen. - Dies stimmt vermutlich nur unter der Voraussetzung, dass Gitarren nicht zu "schwergängig" für solche Saiten sind, und der Spieler in der Lage ist, ihren großen Obertonreichtum anschlagtechnisch zu kontrollieren.

Je höher die Qualität einer Gitarre ist, desto empfindsamer reagiert sie auf die Qualität der Saiten. Der Zusammenhang: Je besser die Übertragungsqualität einer Gitarre, desto deutlicher bildet sie das von den Saiten "gelieferte" Klangmaterial ab, gute Saiteneigenschaften ebenso wie schlechte. - Dies hatte sich vor allem beim diesjährigen 6. Gitarrenbauwettbewerb der EGTA-D gezeigt: Gerade Instrumente, die bei den akustischen Tests der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt deutlich positiv in Erscheinung getreten waren (dort geht es nur um die akustischen Eigenschaften der Instrumente, nicht der Saiten), hinterließen bei schlechter Saitenqualität im spielpraktischen Test einen besonders negativen Eindruck.

Michael Koch